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Verschreibung von Cannabisarzneimitteln an Selbstzahlende

Auswertung der in Apotheken vorgelegten Rezepte

Im März 2017 wurden die Möglichkeiten zur Verschreibung von Cannabisarzneimitteln erweitert, um die ärztliche Versorgung solcher Patientinnen und Patienten zu verbessern, deren Erkrankungen beziehungsweise Symptome mit bisher verfügbaren Arzneimitteln nicht ausreichend therapiert werden konnten. Regelungen zur Erstattung der Therapiekosten für gesetzlich Versicherte wurden im § 31 Absatz 6 Sozialgesetzbuch, Fünftes Buch etabliert.

Während die Zahl der Verschreibungen von Cannabisarzneimitteln zulasten der gesetzlichen Krankenversicherungen zwischen 2020 (340 165) und 2021 (372 071) um weniger als 10 % anstieg (1), nahm der Bedarf an Cannabisblüten zur Patientenversorgung in den Apotheken, von 6 297 kg auf 9 007 kg, um mehr als 43 % zu (2). Dies legt die Vermutung einer verstärkten privatärztlichen Verschreibung, insbesondere von Cannabisblüten, nahe. Um das Ausmaß derselben besser abschätzen und Fehlentwicklungen in der Versorgung prüfen zu können, hat das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte unter Anwendung des § 12 Absatz 4 Satz 1 der Betäubungsmittel-Verschreibungsverordnung Betäubungsmittelrezepte mit Verschreibungen von Cannabisarzneimitteln aus dem Jahr 2021 ausgewertet.

Methoden

Ausgewertet wurden Verschreibungen von Cannabisarzneimitteln aus den zehn in Deutschland ansässigen Apotheken, die im Jahr 2021 die größten Mengen an Cannabisblüten – insgesamt 45 % der Gesamtmenge – zu medizinischen Zwecken erworben haben. Zunächst wurden je Apotheke fortlaufend mindestens 500 Rezepte mit Cannabisarzneimittel-Verschreibungen ausgewertet, die dort ab dem 01.01.2021 beliefert wurden. Die Auswertung umfasste unter anderem Alter und Geschlecht der Patientin/des Patienten, die Facharzt- beziehungsweise Berufsbezeichnung der verschreibenden ärztlichen Person, das verschriebene Cannabisarzneimittel und dessen Menge sowie Angaben zur Dosierung und Art der Anwendung, soweit vorhanden.

Im Anschluss wurden je Apotheke weitere 200 Rezepte nach den gleichen Parametern ausgewertet, die dort ab dem 01.11.2021 beliefert wurden. Die Daten aus Januar und November zeigten bezüglich der untersuchten Parameter keine signifikanten Unterschiede, sodass sie für die Gesamtauswertung zusammengeführt wurden.

Ergebnisse

Von den 7 075 ausgewerteten Rezepten betrafen 6 812 (96,3 %) die Verschreibung von Cannabisblüten. Mehr als zwei Drittel (70,6 %) der Verordnungen wurden als Privatrezept ausgestellt, 83,2 % erfolgten für Männer. Der Altersdurchschnitt der Patientinnen und Patienten lag bei 39 Jahren, wobei nahezu ein Viertel (24 %) der Personen zwischen 14 und 30 Jahre alt war. Die meisten Verschreibungen erfolgen durch Hausärzte.

Bei Betrachtung der 4 994 Verordnungen auf Privatrezept lagen der Männeranteil bei 87,7 % und das Durchschnittsalter bei 36 Jahren. Nahezu ein Drittel der Männer (30,6 %) war nicht älter als 30 Jahre.

Die durchschnittlich auf einem Privatrezept verordnete Menge einer Cannabisblütensorte betrug 17 Gramm, auf Kassenrezepten wurden je Sorte durchschnittlich 39 Gramm verordnet.

Diskussion

Die zehn untersuchten Apotheken haben in 2021 mehr als 45 % der gesamten an Apotheken ausgelieferten Cannabisblüten erworben und sich somit auf die Versorgung mit Cannabisblüten spezialisiert. Deutschlandweit haben circa 100 der nahezu 18 000 Apotheken in 2021 etwa zwei Drittel der Gesamtmenge an Cannabisblüten zu medizinischen Zwecken erworben.

Die Stichprobe zeigt mit 83,2 % einen extrem hohen Männeranteil und eine vorherrschende Verschreibung auf Privatrezepten. Mit 39 Jahren liegt das Durchschnittsalter für die Verschreibung von Cannabisarzneimitteln deutlich unter dem in der Begleiterhebung mit 57 Jahren ermittelten (3). Der Frauenanteil lag in der Begleiterhebung für alle Cannabisarzneimittel bei 54 %, nur Cannabisblüten wurden zu zwei Dritteln Männern verschrieben.

Bei lediglich 10,5 % privat Versicherten in Deutschland, wird der überwiegende Anteil der Privatverschreibungen aus der Stichprobe für gesetzlich Versicherte ausgestellt worden sein (4); also Versicherte, die eine Kostenerstattung durch gesetzliche Krankenkassen nicht erhalten oder nicht beantragt hatten.

Bei Verzicht auf die Antragstellung zur Kostenerstattung stellt sich die Frage, auf welcher Grundlage die Verschreibung erfolgt ist. Ziel des Cannabis-Gesetzes aus 2017 war es, alle die schwer Erkrankten zu versorgen, die auf verfügbare Arzneimittel nicht ausreichend ansprechen und von einer Therapie mit Cannabisarzneimitteln profitieren könnten. Allerdings gilt diese Begrenzung ausschließlich für die Erstattung und nicht für die Verschreibung, solange diese nach § 13 Betäubungsmittelgesetz medizinisch begründet ist.

Der hohe Männeranteil (87,7 %) und das geringe Durchschnittsalter (36 Jahre), bei alleiniger Betrachtung der Verordnungen auf Privatrezepten, lässt es möglich erscheinen, dass eine Versorgung mit Cannabisblüten erfolgt, die der Gesetzgeber so nicht bezweckt hat. Denn entweder werden hier in größerem Ausmaß Patientinnen und Patienten versorgt, die nach den Vorgaben aus § 31 Absatz 6 SGB V eine Erstattung der Behandlungskosten erhalten müssten, von der Erstattung wegen fehlender wissenschaftlicher Daten zur vorliegenden (zum Beispiel psychischen) Erkrankung ausgeschlossen sind oder solche, die von der Ausnahmeregelung für Cannabisarzneimittel gar nicht erfasst werden sollten.

Die unterschiedliche Verordnungsmenge auf Privat- und Kassenrezepten ist am ehesten kostenbedingt, könnte aber auch darauf zurückzuführen sein, dass bei geringem therapeutischen Bedarf auf die Antragstellung zur Kostenerstattung verzichtet wird.

Die Kosten für Selbstzahler liegen bei circa 8 bis 15 Euro je Gramm, für die Krankenkassen deutlich darüber (5).

Limitationen

Die Auswahl der Apotheken erfolgte auf Grundlage der Erwerbe von Cannabisblüten. Andere Cannabisarzneimittel könnten durch eine Spezialisierung von Apotheken auf Blüten unterrepräsentiert sein. Verzerrungen können sich auch durch Preisnachlässe in spezialisierten Apotheken ergeben.

Peter Cremer-Schaeffer, Solveig Langer

Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte, Bundesopiumstelle, Bonn (Cremer-Schaeffer, Langer) Peter.Cremer-Schaeffer@bfarm.de

Interessenkonflikt
Die Autorin und der Autor erklären, dass kein Interessenkonflikt besteht.

Manuskriptdaten
eingereicht: 21.09.2023, revidierte Fassung angenommen: 31.01.2024

Zitierweise
Cremer-Schaeffer P, Langer S: The prescribing of cannabis drugs to self-payers—an evaluation of prescriptions presented to pharmacies. Dtsch Arztebl Int 2024; 121: 338–9. DOI: 10.3238/arztebl.m2024.0026

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