Allgemein Medizinalcannabis

BfArM-Begleiterhebung: Eine Zusammenfassung der wesentlichen Punkte

Kurz & fundiert

  • Dauer: 5 Jahre (April 2017–März 2022z
  • Gesammelte Behandlungsfälle: ca. 21 000
  • Verordnungen: 62,2 % Dronabinol, 16,5 % Blüten, 13 % Extrakte, 8 % Sativex®
  • Mittlere THC-Tagesdosis: ca. 15 mg (Dronabinol, Extrakte, Sativex®); 249 mg (Blüten)
  • Anteil bei chronischen Schmerzen: 76,4 %
  • Verbesserung der Symptomatik: 75 % der Fälle
  • Therapieerfolg bei Cannabisblüten: Höher eingeschätzt im Vergleich zu anderen FormenNebenwirkungen: Häufig, aber i. d. R. nicht schwerwiegend (Müdigkeit, Schwindel)
  • Verbesserung der Lebensqualität: 70 % der Fälle
  • Fazit: Weitere Studien zur Wirksamkeit und Sicherheit sind erforderlich.

Seit 2017 ist in Deutschland die Verschreibung von Medizinalcannabis unter bestimmten Voraussetzungen zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) möglich. Eine der Bedingungen für die Verschreibung war die Teilnahme der behandelnden Ärzte an der sogenannten Begleiterhebung des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM). Die gesetzliche Grundlage hierfür
bildete § 1 Cannabis-Begleiterhebungs-Verordnung (CanBV). Über einen Zeitraum von fünf Jahren, von April 2017 bis März 2022, wurden anonymisierte Daten zu Cannabistherapien an das BfArM übermittelt.


Ziele der Begleiterhebung

Die nicht-interventionelle Begleiterhebung hatte zum Ziel, dem Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) eine fundierte Entscheidungsgrundlage für zukünftige Regelungen zur Kostenübernahme von Medizinalcannabistherapien gemäß § 31 des Sozialgesetzbuches (SGB) V zu bieten. Darüber hinaus sollte die Erhebung Erkenntnisse zur Verträglichkeit und zum Nebenwirkungsprofil von Medizinalcannabis liefern sowie die Hauptanwendungsgebiete identifizieren. Diese Informationen sind auch von Bedeutung für die Planung möglicher zukünftiger Studien.

Ca. 21 000 Behandlungsfälle

Die Datenerfassung erfolgte ausschließlich online und umfasste insgesamt etwa 21 000 gemeldete Behandlungsfälle, von denen 16 809 ausgewertet werden konnten. Die Daten stammten überwiegend von Anästhesiologen (52,5 %), gefolgt u. a. von Hausärzten (15 %), Neurologen (12,7 %), Ärzten mit Schwerpunkt Innere Medizin (8,4 %) und Ärzten der rehabilitativen Medizin (4 %).

Trotz einer gesetzlichen Verpflichtung zur Datenübermittlung wurden von den rund 70 000 genehmigten GKV-Verordnungen (Kassendaten) lediglich etwa 21 000 Behandlungsfälle gemeldet. Die anonymisierte Erfassung führte dazu, dass die Übermittlung der Daten in der Praxis faktisch freiwillig war. Diese Tatsache und die Beobachtung, dass vor allem besonders qualifizierte Ärzte (z. B. Anästhesiologen) überwiegend an der Erhebung teilnahmen, führen zwangsläufig zu der Schlussfolgerung, dass die Ergebnisse leider nicht repräsentativ sind, zumal aus den Kassendaten ersichtlich ist, dass die Hausärzte die Hauptverordner von Medizinalcannabis sind.

Welche Daten wurden gesammelt?

Erfasst wurden unter anderem folgende Daten:

  • Fachrichtung des verschreibenden Arztes
  • Geschlecht und Alter des Patienten zu Therapiebeginn
  • Diagnosen und Dauer der Erkrankung bzw. Symptomatik
  • Informationen zu vorherigen Therapien, einschließlich Beendigungsgründen
  • Vorliegen einer Erlaubnis zur ärztlich begleiteten Selbsttherapie mit Cannabis
  • Detaillierte Angaben zur verordneten Leistung, einschließlich Dosierungen, Art der Anwendung und geplanter Therapiedauer
  • Parallel verordnete Leistungen (z. B. weitere Arzneimittel wie Opioide)
  • Auswirkungen der Therapie auf den Krankheits- bzw. Symptomverlauf
  • Gegebenenfalls Angaben zu Nebenwirkungen
  • Mögliche Gründe für einen Therapieabbruch
  • Entwicklung der Lebensqualität des Patienten

Die Patienten waren im Durchschnitt 57 Jahre alt und überwiegend weiblich (54 %). Eine Ausnahme bildeten die Patienten, die Cannabisblüten erhielten: Sie waren im Schnitt 45,5 Jahre alt und überwiegend männlich (67,4 %). Vor Beginn der Medizinalcannabistherapie hatten die Patienten in der Regel bereits etwa 8 Jahre lang aufgrund ihrer bestehenden Erkrankung oder Symptomatik eine Behandlung erhalten.

Dronabinol wurde am häufigsten verordnet

Mit einer Verordnungsrate von 62,2 % wurde Dronabinol am häufigsten verordnet, gefolgt von Cannabisblüten mit 16,5 % und dem Fertigarzneimittel Sativex® mit 13 %. Cannabisextrakte wurden mit 8 % vergleichsweise selten verordnet, jedoch stieg deren Verschreibungsfrequenz im Verlauf der Datenerhebung um das Siebenfache. Rezepte für Nabilon wurden nahezu gar nicht ausgestellt. Allgemeinmediziner verordneten überdurchschnittlich häufig Cannabisblüten, während Anästhesisten bevorzugt auf Fertigarzneimittel oder Cannabisextrakte zurückgriffen.

Mittlere THC-Tagesdosis bei Blüten um das 16-fache höher

Die Tetrahydrocannabinol(THC)-Dosis bei Cannabisblüten war signifikant höher, mit einem Durchschnitt von 249 mg pro mittlerer Tagesdosis, während die Werte für Extrakte, Sativex® und Dronabinol unter 15 mg lagen.

Chronische Schmerzen häufigster Verschreibungsgrund

Chronische Schmerzen stellten mit 76,4 % den eindeutig häufigsten Verordnungsgrund dar. Unter den Patienten, die mit Extrakten behandelt wurden, betrug dieser Anteil sogar 90 %. Weitere Indikationen umfassten Spastiken (9,6 %), Anorexie/Wasting (5,1 %) sowie Übelkeit/Erbrechen (2,2 %). Bei etwa 14,5 % der Patienten wurde zudem eine Krebserkrankung diagnostiziert, während 5,9 % an Multipler Sklerose (MS) litten.

Verbesserung der Symptomatik durch Cannabisarzneimittel

Insgesamt konnte ein positiver Therapieeffekt festgestellt werden. In nahezu 75 % der Fälle zeigte sich eine Verbesserung der Symptome. Eine Verschlechterung trat bei der Einnahme von Cannabisarzneimitteln nur selten auf. In etwa 25 % der Fälle hatte die Anwendung von Medizinalcannabis hingegen keinen merklichen Einfluss auf die Symptome.

Cannabisblüten am wirkungsvollsten, aber nicht ohne Nebenwirkung

Cannabisblüten wurden insbesondere bei Tic-Störungen (inkl. Tourette-Syndrom), entzündlichen Darmerkrankungen, ADHS, Clusterkopfschmerz und MS verordnet. Die Patienten, die Cannabisblüten erhielten, bewerteten den Therapieerfolg überwiegend positiv: Sie berichteten doppelt so häufig von einer Verbesserung ihrer Symptomatik im Vergleich zu den anderen Gruppen.

Im Vergleich zu anderen Cannabisformen wurden bei den Anwendern von Cannabisblüten insgesamt weniger Nebenwirkungen gemeldet und die Therapie allgemein deutlich seltener vorzeitig abgebrochen. Allerdings trat die Nebenwirkung „euphorisierende Wirkung“ bei diesen Patienten dreimal häufiger auf als bei anderen Darreichungs- oder Anwendungsformen.

Auch kam es bei Blütenanwendern etwa 15,7 % seltener zu einer Begleittherapie mit Opioiden. Das BfArM warnt jedoch vor voreiligen Schlüssen, da die unterschiedlichen Darreichungsformen und Indikationen einen medizinisch validen Vergleich ohne weitere kontrollierte klinische Studien erschweren. Diese Faktoren stellen auch eine Limitation der Begleiterhebung dar.

Limitationen der Begleiterhebung

In der Erhebung wurden ausschließlich gesetzlich versicherte Patienten berücksichtigt, während privat Versicherte und Selbstzahler nicht einbezogen wurden. Aufgrund der Anonymisierung waren Rückfragen nicht möglich, und das BfArM weist zudem auf potenzielle Verzerrungen durch Underreporting seitens der Ärzte hin. Angesichts dieser Einschränkungen bei der Datenerfassung betont das BfArM in seinem Abschlussbericht wiederholt und ausdrücklich, dass die Begleiterhebung keine klinischen Studien ersetzen kann.

Deutliche Verbesserung der Lebensqualität

Insgesamt wurden ca. 33,33 % der Behandlungen aufgrund von mangelnder Effektivität (38,5 %), unerwünschter Nebenwirkungen(25,9 %) oder Todesfall (20,2 %) innerhalb eines Jahres abgebrochen. Frauen waren insgesamt häufiger von Nebenwirkungen betroffen als Männer.

Generell berichteten jedoch 70 % aller Patienten von einer deutlichen Verbesserung der Lebensqualität durch die Anwendung von Medizinalcannabis.

Fazit: Abschlussbericht bietet erste Erkenntnisse, ist aber nur bedingt aussagekräftig

Die Daten aus der Begleiterhebung bieten Einblicke in verschiedene Aspekte, wie beispielsweise demografische Merkmale, behandelte Indikationen und Symptome sowie die subjektiv empfundene Verbesserung der Lebensqualität. Viele Patienten berichteten von positiven Effekten bei einer gleichzeitig guten Verträglichkeit der Cannabisarzneimittel.

Jedoch ermöglichen die vorliegenden Daten keine repräsentativen Rückschlüsse auf die Wirksamkeit und Sicherheit von cannabishaltigen Arzneimitteln und Zubereitungen. Das BfArM weist ausdrücklich auf die Notwendigkeit hin, weitere methodisch fundierte klinische Studien durchzuführen. Diese Studien sind auch entscheidend, um geschlechtsspezifische Unterschiede in der Funktionalität des Endocannabinoidsystems zu untersuchen und auch um zu klären, ob z. B. eine Reduktion von Opioiden durch die Gabe von Cannabisarzneimitteln tatsächlich möglich und sinnvoll ist.

Alle Informationen sind im Detail auf der Website des BfArM zur Begleiterhebung nachzulesen.

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