Medizinisches Cannabis wird für die Behandlung einer Reihe von Symptomen untersucht, die bei onkologischen Erkrankungen häufig auftreten. Dazu zählen Nebenwirkungen einer Chemotherapie wie Übelkeit und Erbrechen, aber auch Schmerzen, die meist durch die Krebserkrankung selbst bedingt sind. Krebs-Patienten können zudem aufgrund von Erkrankung und Chemotherapie Appetitverlust entwickeln und dadurch an Gewicht einbüßen. Die Krebserkrankung selbst kann zu einem Gewichtsverlust (Kachexie) führen. Schließlich wird Cannabis auch mit Blick auf seine möglichen Tumor-bekämpfenden Eigenschaften untersucht. Jedoch befindet sich medizinisches Cannabis in der Onkologie bislang noch weitgehend in der Studienphase. Weitere Forschung ist also notwendig, um die für die jeweilige konkrete Erkrankung und Symptomatik anwendbare Cannabis-Medikation, ihre Zusammensetzung und Dosierung zu ermitteln. Zudem spielen Nebenwirkungen und Wechselwirkungen von medizinischem Cannabis in der Krebsbehandlung eine wichtige Rolle und sind daher zentral in der aktuellen Forschung zu Cannabis in der onkologischen Therapie. So kann der immundämpfende Effekt von Cannabis die Wirksamkeit einer Immuntherapie bei Krebs schwächen und dem Körper hindern, Krebszellen zu zerstören. (Bodine & Kemp, 2022) Manche Cannabinoide können auch direkt nachteilig auf die Wirksamkeit von Krebstherapien einwirken. (Bar-Sela et al. 2020) Der Einsatz von Cannabis als Medizin im Rahmen einer Krebserkrankung kann somit ein zweischneidiges Schwert sein und muss daher mit Blick auf die weitere Medikation und das Krankheitsbild durch die behandelnden Ärzte durchdacht (Khouri et al. 2022) und vorsichtig aufdosiert werden. (Kocis et al. 2020) Besonders als palliative Behandlung scheint medizinisches Cannabis jedoch gut verträglich und sicher zu sein und kann Patienten im Umgang mit den Symptomen der Krebserkrankung helfen. (Bar-Lev Schleider et al. 2018)
Schmerzen
Schmerz kann bei einer Krebserkrankung unterschiedliche Ursachen haben: Die Chemotherapie kann Schmerzen verursachen, eine Bestrahlung kann zu Schmerzen führen und die Erkrankung selbst verursacht häufig Schmerzen. Starke onkologische Schmerzen werden oft mit medizinischen Opiaten behandelt. Häufige Nebenwirkungen dieser Behandlung können jedoch die Lebensqualität zusätzlich einschränken. Patienten, die ihre Schmerzen mit medizinischem Cannabis lindern können, zeigte eine Untersuchung, nahmen im Gegenzug täglich weniger Opiate zu Beginn und Ende der Studie ein als die Patienten, die ausschließlich Opiate zur Schmerzlinderung erhielten. (Pawasarat et al. 2020) Zudem steigerten die Patienten mit zusätzlichem Cannabis die Menge an Opiaten weniger als die nur mit Opiaten behandelten Patienten. Medizinisches Cannabis könnte demnach auch die zunehmende Opiat-Gewöhnung in der Behandlung reduzieren und die Wirksamkeit länger erhalten. (Pawasarat et al. 2020)
Behandlungen können auch als Inhalation erfolgen und dadurch womöglich sogar die notwendige Cannabis-Dosierung reduzieren, zeigte eine offene Pilotstudie in Israel. (Vulfsons et al. 2020)
Ein systematischer Review fand jedoch anhand von Studien, die nur ein geringes Bias-Risiko hatten, dass Cannabinoide zusätzlich zu Opiaten bei Erwachsenen mit fortgeschrittenen Krebserkrankungen keine Schmerzlinderung bewirkten. (Boland et al. 2020)
Relevante Wirkstoffe/Medikamente:
THC – Inhalator (Vulfsons et al. 2020)
Dronabinol – Eine klinische Studie zum Einsatz von Dronabinol bei Brustkrebs-Patienten mit Knochenmetastasen wurde kürzlich durchgeführt, weitere Daten dazu werden erwartet (Phase I Studie; NCT03661892).
Übelkeit/Erbrechen infolge einer Chemotherapie
Chemotherapie-induzierte Übelkeit und Erbrechen sind bekannte, häufige Nebenwirkungen von Chemotherapie-Medikamenten. Eine ergänzende Behandlung mit THC:CBD zusätzlich zu bereits zugelassenen Übelkeits-lindernden Wirkstoffen dämpfte in einer neueren Untersuchung Anfälle von sowohl Übelkeit als auch Erbrechen signifikant. (Grimison et al. 2020) Allerdings ist die Datenlage zur Wirksamkeit im Placebo-Vergleich bislang nicht sehr überzeugend. (Smith et al. 2015) Aufgrund der schwachen Datenlage ist die Behandlung von Chemotherapie-induzierter Übelkeit mit Dronabinol oder Nabilon nur zugelassen, wenn die Symptome nicht auf Standard-Antiemetika ansprechen. (Hesketh et al. 2020) Die europäische Gesellschaft für medizinische Onkologie (ESMO) empfiehlt aktuell keine Cannabinoide zur Linderung von Chemotherapie-Übelkeit oder –Erbrechen. (Roila et al. 2016)
Relevante Wirkstoffe/Medikamente:
THC, CBD (Grimison et al. 2020)
Dronabinol (Hesketh et al. 2020)
Nabilon (Hesketh et al. 2020)
Gewichtsverlust bei Krebserkrankungen, Appetit
Tumore können Botenstoffe abgeben, die dem Appetit-kontrollierenden Hormon Leptin ähneln. Die Folge dieses Prozesses ist Appetitverlust (Anorexia) und Muskelschwund (Kachexie). In einer Studie erhielten Krebs-Patienten ergänzend Kapseln mit THC plus CBD über 6 Monate. Die Abbruchquote der Studie war, häufig entweder wegen Fortschreiten der Krebserkrankung oder Nebenwirkungen des Cannabis, hoch. Von den 6 verbliebenen Patienten nahmen jedoch 3 (50 %) mindestens 10 % ihres Gewichts zu, während die übrigen 3 Patienten ihr Gewicht stabil hielten. (Bar-Sela et al. 2019) Weitere Studien konnten bislang jedoch keinen signifikanten Vorteil einer Cannabis-Behandlung bei Gewichtsverlust bei Krebs zeigen. (Bodine & Kemp 2022, Sexton et al. 2021) Es ist möglich, dass Cannabis und THC den Appetit bei Krebs-Patienten nicht so stark stimulieren wie bei gesunden Personen. (Sexton et al. 2021) Weitere Studien sind demnach nötig, um die Rolle von Cannabis bei Gewichtsverlust bei Krebserkrankungen zu klären.
Relevante Wirkstoffe/Medikamente:
THC, CBD (Bar-Sela et al. 2019)
Dronabinol (Badowski et al. 2018)
Graft-versus-host disease
In einer Studie der Phase 2 mit 48 erwachsenen Patienten war die Kombination von CBD mit Standard GVHD-Prophylaxe sicher und vielversprechend für weitere Studien. (Yeshurun et al. 2015) Ein neuerer Fallbericht zeigt die Wirksamkeit von CBD in einem schwer zu behandelnden Fall auf (Shore et al. 2019) Weitere klinische Studien zu dieser Problematik liegen bislang nicht vor. Die bisherige Evidenz stammt also fast ausschließlich aus Laborstudien (Zellen oder Tiermodelle).
Relevante Wirkstoffe/Medikamente:
Cannabidiol –> Orphan designation (Yeshurun et al. 2015)
Tumor-Suppression
Verschiedene Studien haben mögliche anti-Tumor-Eigenschaften von Cannabis untersucht. Dabei zeigte sich, dass es bei bestimmten Tumor-Typen Hinweise auf eine Hemmung des Tumorzell-Wachstums und der Invasion in benachbartes Gewebe gibt. Cannabis-Wirkstoffe können demnach bei manchen Tumoren einen Zelltod (Apoptose) auslösen und die körpereigene Immunabwehr gegenüber Tumorzellen stärken. (Bodine & Kemp 2022) Allerdings ist erneut zu betonen, dass diese Effekte nur bei manchen Krebszell-Arten zu sehen waren. Bisherige Studien zeigen, dass die Wirksamkeit von Cannabis zur Unterdrückung von Tumoren sich je nach Konzentrationen und Zusammensetzung der Cannabis-Extrakte unterschied. Dabei spielten auch unterschiedliche Cannabinoid-Rezeptoren eine Rolle. Die Daten deuten darauf, dass die Interaktion zwischen jedem Tumor und einem Cannabis-Extrakt einzigartig ist. Weitere Forschung ist nötig, um zu klären, welche Extrakte oder Wirkstoffe konkret für welche Krebserkrankung nützlich sein könnten. (Bodine & Kemp 2022, Baram et al. 2019) Zu berücksichtigen ist hierbei auch die immunsuppressive Wirkung von Cannabis, die unter Umständen den Körper daran hindern kann, Krebszellen zu zerstören. (Bodine & Kemp, 2022)
Referenzen:
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