- Begriffserklärungen: Off- und No-Label-Use
- Anwendungsmöglichkeiten Cannabinoid-haltiger Arzneimittel
- Rechtliche Aspekte: Haftung und Pflichten
- Weiterführende Quellen/Literatur
Begriffserklärungen: Off- und No-Label-Use
Der Begriff „Off-Label-Use“ bezeichnet die Anwendung eines Arzneimittels außerhalb der von den zuständigen Zulassungsbehörden, sei es national oder europäisch, genehmigten Anwendungsfälle. Dies kann sich auf verschiedene Aspekte beziehen, wie etwa die Indikation(en), Dosierung, Therapiedauer, Anwendungsart sowie auf das Geschlecht oder Alter des Patienten. Ein Beispiel hierfür bei Cannabinoid-haltigen Fertigarzneimitteln ist der Einsatz von Sativex® zur Behandlung chronischer Schmerzen, während die Zulassung lediglich für die Behandlung von Spastiken bei Patienten mit Multipler Sklerose besteht.
Im Gegensatz dazu steht der sogenannte „No-Label-Use“, bei dem Arzneimittel verwendet werden, für die es (noch) keine offizielle Zulassung gibt. Hierzu zählen beispielsweise Cannabisblüten und Rezepturarzneimittel.
Beide Anwendungsformen sind im Rahmen der ärztlichen Therapiefreiheit erlaubt und fallen unter die Kategorie der individuellen Heilversuche. Diese Regelung gilt grundsätzlich unabhängig von möglichen Erstattungsfragen seitens der Krankenkassen (privat oder gesetzlich).
Anwendungsmöglichkeiten Cannabinoid-haltiger Arzneimittel
Die Therapie mit einem zugelassenen Fertigarzneimittel entsprechend der Indikation, also einem „In-Label-Use“, ist bei der Anwendung von Medizinalcannabis eher die Ausnahme als die Regel. In allen anderen Fällen handelt es sich also entweder um einen Off-Label- oder No-Label-Use.
Rechtliche Aspekte: Haftung und Pflichten
Arzt trägt die volle Verantwortung
Sowohl bei einem Off-Label-Use als auch bei einem No-Label-Use trägt der verordnende Arzt eine erhebliche Eigenverantwortung. Dies liegt daran, dass für mögliche schädliche Folgen der Therapie nicht der pharmazeutische Unternehmer gemäß § 84 Arzneimittelgesetz (AMG, Gefährdungshaftung) für das Fertigarzneimittel haftet, sondern der Arzt selbst in vollem Umfang, einschließlich seines Privatvermögens.
Hinweis: Eine offizielle Zulassung sichert nicht nur die Qualität, sondern auch die Wirksamkeit und Sicherheit eines Fertigarzneimittels. Daher ist ein Off-Label-Use in der Regel einem No-Label-Use vorzuziehen. Aus diesem Grund haben sich bereits viele Kassenärztliche Vereinigungen für einen zurückhaltenden Einsatz von Cannabisblüten ausgesprochen.
Erfolgt eine Arzneimittelverordnung außerhalb der Zulassung gemäß AMG oder verstößt sie gegen die Arzneimittel-Richtlinien (AM-RL), kann gemäß § 106 Abs. 5b SGB V im Rahmen einer Wirtschaftlichkeitsprüfung unter Umständen auch ein Regress festgesetzt werden.
Aufklärungs- und Dokumentationspflichten
Die ohnehin bestehende Aufklärungspflicht des Arztes über mögliche Nebenwirkungen, Risiken sowie Kosten- und Haftungsfragen ist beim Off- und No-Label-Use erweitert. Zur eigenen Absicherung wird empfohlen, diese umfassende Aufklärung schriftlich zu dokumentieren und vom Patienten, beispielsweise im Rahmen eines Behandlungsvertrags, unterschreiben zu lassen. So kann sichergestellt werden, dass der Patient über die bestehenden Heilungschancen und Therapierisiken der Medizinalcannabis-Behandlung informiert ist und dieser ausdrücklich zustimmt.
Ein Verstoß gegen die Pflichten und Verantwortlichkeiten des Arztes kann erhebliche zivilrechtliche Haftungsrisiken mit sich bringen. Daher sollten folgende Aspekte sorgfältig bedacht und beachtet werden, um die Qualität, Wirksamkeit und Sicherheit des Cannabisarzneimittels bestmöglich zu gewährleisten:
- Eine angemessene Qualität des Cannabisprodukts muss stets sichergestellt sein. Beim Off-Label-Use eines Fertigarzneimittels sollte dies durch die Herstellungs- und Produktionsverfahren des pharmazeutischen Unternehmens gewährleistet werden. Bei Cannabisblüten, -extrakten und Rezeptursubstanzen ist der verordnende Arzt jedoch auf die Hersteller, Inverkehrbringer sowie auf die jeweils abgebende Apotheke angewiesen, die ihre Verpflichtungen einhalten müssen. In der Vergangenheit wurde bereits berichtet (vgl. DAZ.ONLINE, 17/2023: Welche Gefahr in schimmligen Blüten steckt), dass beispielsweise die mikrobiologische Qualität von Cannabisblüten zur Inhalation nicht gewährleistet war und diese mit Pilzsporen kontaminiert waren. Dies stellt insbesondere für Patienten mit Atemwegserkrankungen und/oder einem geschwächten Immunsystem ein erhebliches Risiko dar.
- Der Patient sollte umfassend und individuell über die potenzielle Wirksamkeit des Cannabisarzneimittels sowie die allgemeinen Heilungschancen in Bezug auf seine spezifische Indikation informiert werden. Zudem ist es wichtig, ihn über den aktuellen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse und medizinischen Erfahrungen zu diesem Thema aufzuklären.
- Der Patient sollte über die allgemein möglichen sowie die für ihn spezifischen Risiken informiert werden, die in Abhängigkeit von seinem Gesundheitszustand, bestehenden (Neben-)Erkrankungen und der aktuellen Medikation zu erwarten sind. Diese Informationen sollten ebenfalls auf dem neuesten Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse basieren.
Hinweis: Die Webseite www.drugs.com verzeichnet derzeit insgesamt 399 Wechselwirkungen im Zusammenhang mit Cannabis. Davon sind 28 als schwerwiegend und 371 als moderat eingestuft, die bei der Überprüfung von Interaktionen aktuell berücksichtigt werden sollten.
Die Erfüllung dieser Obliegenheiten/Aufklärungspflichten muss für jeden Patienten individuell sowie für jede neue Verordnung sorgfältig dokumentiert werden, wodurch ein kontinuierlicher Überprüfungsprozess gewährleistet ist. Dabei sollten auch die im Verlauf der Behandlung erzielten Erfolge und etwaige Nebenwirkungen berücksichtigt werden.
Es ist wichtig zu beachten, dass die Zweckmäßigkeit einer Weiterbehandlung mit Cannabisarzneimitteln innerhalb der ersten drei Monate engmaschig überprüft werden sollte. Anschließend ist eine regelmäßige Beurteilung notwendig. Der verordnende Arzt ist verpflichtet, Art, Dauer und Ergebnisse des Einsatzes von Medizinalcannabis in der Patientenakte festzuhalten.
Weiterführende Quellen/Literatur
- Veit M: DPhG-Statement: Pharmakotherapie mit Cannabisblüten und anderen magistralen Zubereitungen – Therapieoption mit zu befürchtendem Wildwuchs infolge der Legalisierung, 9.7.2024; https://www.dphg.de/artikel/dphg-statement-pharmakotherapie-mit-cannabisbluten-und-anderen-magistralen-zubereitungen
- Glaeske G, Muth L: Zwischen Chancen und Risiken, DAZ 2022; Nr. 10, S. 56; https://www.deutsche-apotheker-zeitung.de/daz-az/2022/daz-10-2022/zwischen-chancen-und-risiken
- Becker, U, Wilman N et al.: Im Zweifel auf Privatrezept? Sozial- und haftungsrechtliche Aspekte des Off-Label-Use, Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden 2012; https://www.nomos-elibrary.de/10.5771/9783845235059-2/titelei-inhaltsverzeichnis?page=1
- Ulsenheimer, K: Zur Strafbarkeit des Arztes beim „off-label-use“ von Medikamenten, 2011; https://www.uls-frie.de/cms/wp-content/uploads/2018/11/2011-Zur-Strafbarkeit-des-Arztes-beim-off-label-use-von-Medikamenten.pdf