EIN BESUCH AUF DER HANFMESSE MARY JANE BERLIN
Cannabis ist jetzt legal – doch weil die Anbauverbände erst zum Jahreswechsel mit der ersten legalen Ernte rechnen, bleibt den Konsumenten vorerst nur der Eigenanbau. Auf der Hanfmesse Mary Jane Berlin werben Telemedizin-Anbieter damit, unkompliziert an Cannabis-Rezepte zu kommen. Apotheker und Patienten kritisieren dies.
Vom 14. bis 16. Juni trafen sich in Berlin tausende Cannabiskonsumenten, die keine Angst mehr vor Strafverfolgung haben. Europas größte Hanfmesse, die Mary Jane Berlin, erwartete in diesem Jahr vom 40.000 Besucher – rund 10.000 mehr als im Vorjahr. Seit dem 1. April ist laut Cannabisgesetz der Besitz von 25 Gramm „Gras“ legal, ebenso der Eigenanbau. Viele Besucher kauften Samen oder junge Stecklinge, um sie zu Hause zu züchten.
Das Gesetz soll auch die Mitgliedschaft in Anbauvereinen ermöglichen. Allerdings können die Vereine erst ab dem 1. Juli bei den zuständigen Behörden Anträge stellen, über die innerhalb von drei Monaten entschieden wird. „Ab dem Tag, an dem wir die Genehmigung haben, können wir die Samen in die Erde bringen“, sagt Christian Schmidt, Vorsitzender des Berliner Anbauvereins Green Social Club auf der Messe. Erst zum Jahreswechsel werden die Mitglieder die erste Ernte in den Händen halten.
Bundesrat lässt Cannabisgesetz passieren
Die Umsetzung des Cannabisgesetzes halten hier viele für problematisch. Denn wenn für Konsumenten der Anbau in der eigenen Wohnung oder die künftige Mitgliedschaft in einem Cannabis-Club nicht infrage kommt, bleiben nicht mehr viele Alternativen. „Diesen Freizeitkonsumenten bleibt derzeit nur der Schwarzmarkt – oder der Versuch, an medizinisches Cannabis zu kommen“, sagt Apotheker Johannes Hoffmann, der mit der auf Cannabis spezialisierten „Alle Farben Apotheke“ einen Stand auf der Messe hatte.
Markt für Medizinal-Cannabis floriert
Im Gegensatz zu den Anbauvereinen floriert der Markt für medizinisches Cannabis bereits seit April. Mit dem Gesetz wurde Cannabis aus dem Betäubungsmittelgesetz gestrichen. Für viele Ärzte ist damit die Hürde für eine Verschreibung gesunken. Das erleichtere den Zugang für viele Patienten, berichtet Hoffmann.
Gleichzeitig sei es aber auch für Freizeitkonsumenten einfacher geworden, Cannabis über den Medizinmarkt zu beziehen. „Das sehe ich kritisch. Denn diejenigen, die es wirklich brauchen, zum Beispiel Palliativpatienten, sind auf eine kontinuierliche Verfügbarkeit der Produkte angewiesen“, sagt Hoffmann.
Erstgespräch mit Arzt online
Auf telemedizinischen Plattformen wie „Bloomwell“, ehemals „Algea Care“, erhalten Patienten mit wenigen Klicks online ein Erstgespräch mit einem Arzt, der Cannabis verschreibt. Ein paar weitere Klicks und man gelangt von der Bloomwell-Seite zu den sechs Partnerapotheken mit Versandhandelserlaubnis. Patienten können ihre Rezepte aber in jeder Apotheke in Deutschland einlösen, beispielsweise Hoffmanns Apotheke.
Bloomwells Mitbewerber „DrAnsay“ schickte auf der Hanfmesse Promoter in Arztkitteln über das Gelände, die für „Blüten ab 2,99 Euro“ warben. Und die Werbeprospekte der Preisvergleichs-Plattform „Flowzz“ waren Privatrezepte, bedruckt mit „Medizinisches Cannabis schon ab 3,90 Euro“.
Anfragen mehr als verzehnfacht
„Möchten Sie Cannabis-Patient werden?“ ist die Frage, mit denen die Mitarbeiter von Bloomwell ihre Standbesucher begrüßt. Das Marketing scheint aufzugehen: Im Gespräch mit der DAZ berichtet einer der Gründer von Bloomwell, der Radiologe Julian Wichmann, dass sich die Anfragen auf der Plattform seit der Legalisierung mehr als verzehnfacht haben. Problematisch finde er das nicht. Sein Start-up versuche nur, die Hürden für eine Therapie mit Cannabis so niedrig wie möglich zu halten.
„Nach dem Cannabis-als-Medizin-Gesetz von 2017 könnte im Prinzip jeder Arzt mit Cannabis behandeln. Die Realität sieht aber anders aus“, sagt Wichmann. „Man muss die Hürde in den Köpfen der Menschen senken, weil sie Angst haben, ihren Arzt darauf anzusprechen.“ Die Unterstellung, manche Bloomwell-Kunden seien nicht wirklich krank, zeige, dass Cannabis-Patienten immer noch stigmatisiert würden.
„Das schadet der ganzen Bewegung“
Wichmann selbst warb auf der Plattform nach der Legalisierung damit, dass Cannabisrezepte bei Bloomwell für einen Euro zu haben sind. Die Cannabis-Patienten selbst sehen in dieser Praxis, Rezepte zu Dumpingpreisen zu bewerben oder auf einer Hanfmesse nach Patienten zu suchen, eine Stigmatisierung.
„Das schadet der ganzen Bewegung und unseren Bemühungen, uns für die Gesundheit einzusetzen“, sagt Mirta Rostas, Vorstandsvorsitzende und Gründerin der Cannabis-Patientenvereinigung „CAPA“ bei einer Podiumsdiskussion auf der Messe.
„Ich finde das etwas unseriös. Ich möchte einen festen Ansprechpartner haben“, ergänzt die Cannabis-Patientin Christina Liedtke. Den gäbe es über den Weg der Kostenerstattung durch die gesetzliche Krankenversicherung. „Alles andere würde ich ehrlich gesagt nicht empfehlen oder selbst ausprobieren.“
Im Vergleich zu den tatsächlichen Behandlungskosten der Telemedizin-Anbieter erscheinen die zehn Euro Zuzahlung, die Kassenpatienten monatlich leisten müssen, gering. Eine Folgeverordnung kostet bei Bloomwell knapp 30 Euro. Und wenn Patienten eine ärztliche Beratung benötigen, können sie eine „Folgesprechstunde Kompakt“ für 45,45 Euro buchen. Eine Beratung vor Ort kostet 70 Euro.
Nichts für gesunde Feinschmecker
Und auch an den anderen Fall – dass sich Freizeitkonsumenten langfristig über telemedizinische Plattformen versorgen – glaubt Green Social Club-Vorsitzender Christian Schmidt nicht. Hier soll das Gramm 7,35 Euro kosten – unabhängig von der Abnahmemenge. Hinzu kommen zehn Euro pro Monat als Mitgliedsbeitrag für den Anbauverein. Allein die Ausrichtung der Anbauvereine sei für Freizeitkonsumenten attraktiver als der Cannabis-Parallelmarkt mit Privatrezepten. „Cannabis ist für mich reiner Genuss und dementsprechend sollte es hochwertiges Cannabis sein – und das in verschiedenen Geschmacksrichtungen.“
Sehr billiges Medizinalcannabis ist zwar arzneilich hochwertig, aber nichts für gesunde Feinschmecker. Doch bis sein Verein öffnet, werden Unternehmen wie „Bloomwell“ oder der Schwarzmarkt viele Freizeitkonsumenten versorgen müssen.